Jeder scheint sich nach Verbundenheit zu sehnen und doch versteht nicht jeder dasselbe unter Verbundenheit. Für den einen beginnt Verbundenheit mit einem Gedanken und dem Wissen, dass ein anderer Mensch da ist, oder dass man sich zu einer bestimmten Gemeinschaft zugehörig fühlt und für einen anderen ist Verbundenheit mit dem Gefühl der Verschmelzung gleichgesetzt. Die einen fühlen sich nur verbunden, wenn sie die Verbundenheit mit dem Höheren Selbst, mit dem Universum oder Gott fühlen, für andere ist verbunden zu sein, an einen anderen Menschen gekoppelt und somit eins mit Liebe.
Verbundenheit ist ein großes und erhabenes Wort, das ein Mysterium in sich einschließt und willentlich nicht herzustellen ist. Alleine die Bereitschaft zur Verbundenheit ebnet den Weg dorthin und lässt dieses erhabene Gefühl in einem entstehen. Die Voraussetzung dafür ist jedoch eine lebendige Beziehung. Auch, wenn wir auf spiritueller Ebene davon ausgehen, dass wir immer mit dem Großen Ganzen verbunden und darin geborgen sind, so wird dieses kognitive Wissen erst zu einer erfahrbaren Realität, wenn wir es spüren und fühlen können und so zu Zeugen ihrer Existenz werden.
Doch was passiert, wenn ein Kind zur Welt kommt, dessen Erfahrung im Mutterleib von Gewalt und Stress geprägt wurde, anstatt von einer lebendigen liebevollen Beziehung? Was passiert mit einem Kind, dass nach der Geburt von seiner Mutter verlassen wird, anstatt Verbundenheit und Geborgenheit bei seiner Mutter zu erfahren? Was passiert in einem Kind, dessen Mutter sich nicht um es kümmern kann?
Die Erfahrungen, die wir im Mutterleib machen, prägen uns ein Leben lang auf einer Ebene, die alleine mit dem Verstand nicht zu erreichen ist. Diese nehmen Platz in den Flüssigkeiten jeder einzelnen Zelle unseres Körpers, beeinflussen unsere Sicht auf die Welt sowie unsere Handlungen und sie beeinflussen wie wir Verbundenheit erleben. Die Gebärmutter ist für uns am Anfang des Lebens wie die Welt, in der wir jetzt leben. Der Organismus unserer Mutter ist, wie der Organismus der Natur, also Mutter Erde, es für uns jetzt ist. Die Beziehung, die wir zu unserer Mutter vorgeburtlich und danach haben, spiegelt sich in all unseren Beziehungen und somit auch in unserem Erleben von Verbundenheit wider.
Werden wir von unserer Mutter nach der Geburt getrennt, aus welchen Gründen auch immer, so bricht für das Neugeborene seine gesamte Welt, seine gesamte Existenz und sein gesamter Lebenssinn auseinander. Da wo die Verbundenheit im Körper verankert und spürbar war, klafft nun eine riesengroße Wunde. Die Wunde der Verbundenheit. Kommt es zu einer Vereinigung von Mutter und Kind, kann diese Wunde, je nach Beziehungsqualität, mit der Zeit heilen. Bleibt die Trennung jedoch bestehen, so bleibt auch die Wunde der Verbundenheit in ihrer gesamten Größe bestehen.
Wunden zeichnen sich durch ihr Bluten, sowie durch ihre erhöhte Schmerzempfindlichkeit und durch ihre erhöhte Verletzlichkeit auf Grund der fehlenden natürlichen Schutzhülle aus. Sind wir verletzt, nehmen wir automatisch eine Schonhaltung ein, wir benötigen mehr Ruhe und eine erhöhte Fürsorge und Zugewandtheit von unserem Umfeld.
Die Schonhaltung, die die Wunde der Verbundenheit einnimmt, ist gekennzeichnet von einer Abwehrhaltung, dem Widerstand und der Kontrolle über alle Bereiche seines Lebens. In diesem Kampfmodus kämpft die Wunde der Verbundenheit gegen die Verbundenheit selbst. Die Gefühle von Zugehörigkeit und von Liebe aktivieren die Angst einer weiteren Verletzung, der ohnehin schon blutenden Wunde. Die Erinnerungen an die bestandene Verbundenheit und die zugefügte Verletzung, liegen tief in der Wunde begraben. So drängt sie einem immer wieder in Verbindungen und Beziehungen mit Menschen, an die man sich unwillkürlich bindet, in der Hoffnung die verlorengegangene Verbundenheit so wiederzuerlangen und wiederzufinden. Gleichzeitig wirkt der Schutzmechanismus der Abwehr, des Widerstandes und der Kontrolle. Dieser verletzt den anderen Menschen, der seinerseits mit seinen Schutzstrategien reagiert. Dies befeuert wiederum die eigenen Schutzstrategien stärker, robuster, schneller und aufmerksamer zu werden. Durch jede weitere Verletzung der Wunde der Verbundenheit wird auf der einen Seite die Sehnsucht nach Verbundenheit größer, sowie auf der anderen Seite, die Angst vor ihr. Die Sehnsucht nach Verbundenheit lässt Bindung entstehen, die Angst vor der Verbundenheit bekämpft jedoch den Menschen, an den man sich gebunden hat. Verlässt man diesen Teufelskreis, so kommt man direkt auf der Wunde der Verbundenheit auf. Sieht ihre Größe, ihre Tiefe und ihre Einbettung in Raum und Zeit. Man hört ihre Geschichte, nimmt ihre Familiengeschichte und ihre kollektive Geschichte ebenso wahr und fühlt ihren Schmerz, der sich in unseren Eingeweiden manifestiert und die Kraft erahnen lässt, die unsere Zellen ein Leben lang aufbringen mussten um diese Erinnerung weder zu spüren, zu fühlen noch zu erinnern. In der Verbundenheit mit der Wunde sieht man sein Leben, in dem man sich plötzlich gefangen fühlt, vor seinen Augen in sich kollabieren und um einen herum auseinanderfallen. Übrig alleine bleibt die Verbundenheit mit der Wunde der Verbundenheit, deren Sehnsucht schweigt und deren Angst wie ein treuer Hund neben einem liegt und auf weitere Befehle wartet.
Was ist und bleibt zu tun?
Sein Selbst suchen, zusammenfügen und zu verbinden um es in weiterer Folge kennenzulernen und zu lieben. Die Wunde der Verbundenheit als sein Fundament annehmen, anfangen ihrer Weisheit zu lauschen und immer wieder die Verbundenheit mit ihr suchen. Sie kennen zu lernen, ihre Zeichen und ihre Sprache verstehen zu lernen um mit ihr, Hand in Hand sein Leben wiederaufzubauen. Ein Leben der Verbundenheit, in dem die Wunde der Verbundenheit die Fürsorge, die Aufmerksamkeit, die Ruhe und den Schutz erfährt nach der sie ein Leben lang, wie ein Neugeborenes, geschriehen hat.
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