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Renate Konrad

Narzissmus als Chance?

Der Narzissmus Hype ist das größte Heilungsgeschenk unserer Zeit. Wenn ich das so schreibe und behaupte, dann nur, weil ich glaube, dass wir durch diesen Hype und durch dieses Phänomen des Narzissmus an unser eigenes Potenzial erinnert werden. Wir werden aufgerufen die Motivation unserer Worte und Handlungen kennenzulernen und die darunterliegenden Strukturen, Bedürfnisse und Sehnsüchte zu spüren und gegebenenfalls zu heilen. Das heißt wir lernen uns in der Tiefe kennen. Wenn das kein Geschenk ist…?


Wir haben alle unsere narzisstischen Seiten. Es stellt sich für mich nur die Frage, ob wir diese momentan von unserem Arterhaltungstrieb wirklich trennen können. Wir Menschen sind soziale Wesen und aus unserer biologischen Veranlagung her Herdentiere. Das bedeutet, wir sind von Grund auf, auf andere Menschen angewiesen, passen uns an und folgen automatisch der Herde, wenn diese flüchtet oder einfach weiterzieht. Das bedeutet weiters, dass unser Nervensystem sich sicher fühlt, wenn wir Teil dieser Herde sind und unseren Platz darin zugeordnet bekommen. Dies geschieht biologisch bedingungslos. Nun haben wir Menschen ein Wertesystem, das uns gesellschaftlich, familiär und persönlich ausrichtet und nach dem wir einordnen wer Platz in der Herde hat und wer lieber draußen bleiben sollte. Die Zugehörigkeit ist demnach keine bedingungslose mehr. Als Kinder passen wir uns automatisch an die gegebenen Werte und Bedingungen, die von unseren Eltern, von Kindergarten und Schule an uns herangetreten werden, an. Um unseren Platz in der Herde zu bekommen verleugnen wir oft unsere inneren natürlichen Impulse, begehren leiser auf oder gehen in die Ablehnung und in den Widerstand.


Eine Leistungsgesellschaft definiert sich über Leistung und so stellt sich mir die Frage, was mit jenen Menschen ist, die diese Leistung nicht erbringen? Sind sie dadurch weniger wert, weniger geschätzt oder weniger respektiert? Wieso fühlen sich Pensionisten oft nicht mehr als wertvoll, wenn sie ihre Arbeit niedergelegt haben? Wieso gehen wir krank zur Arbeit? Wieso haben Frauen oft ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihre Kinder selbst betreuen? ...


Was steckt wirklich dahinter? Die Angst nicht wertvoll zu sein, wenn wir keine Leistung erbringen? Oder die darunterliegende Angst nicht mehr dazuzugehören und ausgeschlossen zu werden? Oder die noch tiefere und ursprünglichere Angst seine Macht zu verlieren oder das zu verlieren, das uns machtvoll und überlegen fühlen lässt?


Dies ist nun der springende Punkt, meines Erachtens, der uns direkt zum Narzissmus führt. Es ist die natürliche Macht, die uns durch die Sozialisierung und durch unseren angeborenen Arterhaltungstrieb abhandengekommen ist. Wir haben oft schon sehr früh unsere natürliche grundgelegte Macht unterdrücken, verstecken und abspalten müssen um uns an die Gegebenheiten unseres Umfeldes anzupassen. Lernen wir jedoch unsere eigene grundlegende natürliche Macht nicht kennen und diese nicht dem Leben dienend zu gebrauchen, kehrt sie sich um und es entsteht aus ihr die Manipulation, die in weiterer Folge andere Menschen, aber auch unser wahres Wesen unterdrückt, ausbeutet und missbraucht. Das Ziel der Manipulation ist, meines Erachtens, die Bestätigung der eigenen Macht und dadurch wird gleichzeitig die eigene Existenz und das eigene Selbst bestätigt. Die wahre Wunde in einem wird dadurch jedoch nicht berührt und so nährt uns diese Art der Bestätigung nur sehr kurzfristig.


Dieser Prozess läuft auch in jenen Menschen, die sich als Opfer sehen und aus dieser Haltung nicht herausfinden und darin trotz aller Hilfsangebote gefangen zu bleiben scheinen. Die abgespaltene, verdeckte und unterdrückte Macht manipuliert hier nicht offensichtlich, sondern in dem sie Menschen emotional bindet und in ihnen ihre natürliche altruistische menschliche Seite anspricht um von ihnen hofiert zu werden. Das Ziel ist wieder, die eigene Macht und eine Bestätigung seiner Existenz und seines Selbst zu bekommen.


Was ist zu tun?


Zum einen, die eigenen Handlungen hinterfragen. Warum tue ich das was ich tue? Erwarte ich mir dadurch etwas von jemand anderem, oder tue ich es, weil ich es einfach möchte? Das kann bereits in ganz einfachen Dingen liegen. Zum Beispiel in einem Blumenstrauß, den ich schenke und mit ihm die Forderung mit überreiche dafür, geliebt, beachtet, gelobt und bewundert zu werden. Auf subtiler Ebene übe ich mit diesem Blumenstrauß Macht aus. Gleichzeitig missbrauche ich den Blumenstrauß, der so zu einer Verkörperung der Manipulation wird.


Zum anderen, Kontakt aufnehmen zur eigenen Machtlosigkeit. Wo und in welchen Bereichen fühle ich mich machtlos? Wo und in welchen Bereichen fühle ich mich missbraucht und unsicher? In welchen Bereichen fühle ich mich nicht geliebt, nicht gesehen, nicht erkannt und in welchen fühle ich mich überhaupt nicht? Es ist gut dies alles zu spüren, zu halten, anzuerkennen und wertzuschätzen, als Teil von einem selbst. Werden diese und ähnliche Teile, Bedürfnisse und Sehnsüchte von uns gesehen und wertgeschätzt, brauchen sie sich nicht über die Manipulation zu zeigen und so auf Erfüllung zu hoffen. Sie werden mit der Zeit gestillt, integriert und heilen.


Zum Schluss, Kontakt zur eigenen Macht herstellen und die Energie der ursprünglichen Macht in einem spüren, fühlen und in einem frei fließen lassen. Wie reagiere ich, mein Nervensystem und meine Gedanken darauf? Darf sich die eigene Macht ausdehnen, oder unterdrücke ich sie sofort? Welche Glaubenssätze und Erfahrungen sind an die natürliche Macht gekoppelt? Wo ist ihr Sitz im Körper? In welchen Bereichen unterdrücke ich sie? Wie fühlt sich die natürliche Macht an, wenn sie fließen darf?


Tun wir dies, so wird Narzissmus zu einem Geschenk für uns selbst und für unsere Gesellschaft. So sehe ich im Narzissmus die kollektive abgespaltene Macht der Menschheit liegen, die das Potenzial hat alte Machtstrukturen aufzusprengen, zu verändern und uns als einzelne Menschen aber auch als Menschheit in unsere natürliche Kraft, Stärke und daraus hinaus in unsere natürliche Macht zu bringen, die das Wohl aller im Blick hat und im Dienst des größeren Ganzen steht.

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