Eine merkwürdige Stimmung hängt über dieser letzten Schulwoche und noch merkwürdiger wird sie an diesem letzten Donnerstag, der Tag vor dem Zeugnis und dem Tag vor dem endgültigen Ausscheiden meiner Tochter aus der Mittelschule. Wehmut schwingt in der Luft aber auch Aufregung, wegen der großen Feier. Das Mittagessen bringen meine Tochter und ihre Freundin kaum herunter. Das Badezimmer ist fast den gesamten Nachmittag verschlossen. Gerede, lachen und geschäftiges Treiben sind daraus zu vernehmen. Als sich schließlich die Türe öffnet, stehen keine Mädchen vor mir, es sind Damen, die nach stundenlangem Herrichten ihr kindliches Aussehen verloren haben.
Haare, die sich nun wellen, gebürstet und geflochten sind und sich um ihre feinen Gesichter legen, sie einrahmen und ihre Schönheit hervorheben. Ihre aufrechte Haltung, die zurückgeworfenen Schultern und der aufrecht gehaltene Kopf verraten ihr Wissen über den Effekt, den sie durch ihre Frisur und das Schminken bei den anderen hervorrufen. Ihr Selbstbewusstsein übertrifft jeden kleinsten Zweifel an ihrer heutigen Mission. Sie sind es, die einladen, damit wir Eltern mit ihnen ihren Abschluss feiern. Damit wir sie zum ersten Mal bewundern, nicht als Kinder, sondern als Damen und junge Herren.
Ein Lebensabschnitt neigt sich dem Ende zu und diesen würdigen nun meine Tochter und ihre Klassenkollegen gebührend. Das feierliche Herrichten ist nur der Anfang, den in ihrer Mutter, mir, einen kleinen Ausblick in die Zeit, die noch kommen wird, schenkt. Dieser kurze Blicke in die Zukunft, lässt erahnen wie selbstverständlich sich meine Tochter, die sich fast unbemerkt aus einem kleinen Mädchen in eine junge Dame verwandelt hat, nun selbstbewusst und selbstsicher einen Schritt nach dem anderen in die Welt der Erwachsenen eintaucht und von ihr verschlungen wird. Heute ist es nur der Auftakt in diese Welt von morgen und doch weht der Wind mir mitten ins Gesicht und lässt mein Herz die Wehmut spüren, die eines Tages jede Mutter erreichen wird. Es heißt Abschiednehmen, loslassen und sich hingeben dem Fluss des Lebens, der uns beide, meine Tochter und mich aufnimmt und jeden von uns zu neuen Ufern schwemmt, an den Ort an dem sie, meine Tochter sein soll und an den Ort von wo aus ich meinen Weg weitergehen werde.
Dann steht sie vor mir, meine Tochter mit ihren gelockten Haaren, geflochten zu einer wunderschönen Frisur, in ihrem Bauernrock und Shirt. Ihr Aussehen so betörend, ihr Lächeln so natürlich und ihre Ausstrahlung so selbstsicher. Mühelos entwendet sie mir meine Weste, die ich gerade trage. Selbstverständlich schlägt sie sie über ihren Arm und trottet von Dannen. Kopfschüttelnd bleibe ich zurück, staunend über das was gerade geschehen ist. Meine Haut an meinen Armen beginnt sich langsam abzukühlen. Mein Herz wird jedoch berührt von der Liebe, die in diesem Moment so deutlich spürbar in der Luft schwingt. Sie wärmt mich nun und zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. So verlassen zwei Damen mein Haus und machen sich auf den Weg zu ihren Klassenkollegen und zu ihrer Feier, die ihnen die Tür öffnet zu einer Welt voller Unbekannten und zu einer Welt voller Gefahren, Verantwortung und neuen Abenteuern.
Dieser Abend, heute, ist ihr Abend. Ein Abend, an dem sie eingeführt wird in die Tiefe menschlicher Gefühle. Sie wird eingewoben in die Komplexität des Lebens in der Freude, Trauer, Liebe und Sehnsucht immer gleichzeitig vorhanden sind. Dieser Abend ist die Schwelle, an der sie vielleicht zum ersten Mal erfährt wie schwierige Momente sich plötzlich in schöne verwandeln, Momente des Zornes sich in ein Lachen wandeln und wo sie Mitmenschen als wichtige Weggefährten erkennt. Ein Abend an dem sie die Liebe und die Verbundenheit sowie die Zusammengehörigkeit, die sie acht lange Jahre mit ihren Klassenkollegen gelebt hat noch einmal ganz besonders spürt, erfährt und noch einmal erlebt und all dies ein letztes Mal noch einmal gemeinsam mit ihren Weggefährten feiert und sich so gemeinsam mit den anderen über die Schwelle zu ihrem neuen Lebensabschnitt tragen lässt.
Meine einzige Aufgabe in diesem Moment als Mutter, ist stumme Zeugin dieses Prozesses zu sein und die Arme zu öffnen für meine Tochter und das Leben, das sie begleitet und das durch ihre Adern pulsiert und sie an den Ort trägt an dem sie sein soll. Am Anfang ihres Lebens habe ich die Arme geöffnet um meine Tochter in Empfang zu nehmen, sie zu halten und ihr ein zu Hause zu geben. Jetzt heißt es die Arme zu öffnen, damit sie in die Welt gehen kann um darin ihre Aufgabe und ihren Platz einzunehmen, so wie ich es vor langer Zeit selbst einmal getan habe.
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