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Renate Konrad

Frühlings-Tag und Nachtgleiche


Ganz unscheinbar haben wir uns an die Frühlings-Tag und Nachtgleiche herangepirscht. Das Dunkel der Nacht hinter uns gelassen und jetzt stehen wir vor dem großen Tor zum Licht. So wenig wie wir in der Natur mit dem Aufbrechen der Lebensgeister einen Abschied wahrnehmen, so unscheinbar vollzieht er sich auch in uns. Dennoch ist er fühlbar. Die Traurigkeit wird überlagert von einer Vorfreude über die länger werdenden Tage, die wärmer werdende Sonne und die Vorbereitungen im Garten. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt tatsächlich nicht. Zielstrebig gehen wir unseren Weg in Richtung Licht.


Doch was bedeutet das nun? Auf der einen Seite freuen wir uns bereits auf den wohlverdienten Kaffee auf der sonnenbeschienenen Terrasse und auf der anderen Seite steht eine Zeit der Aktivität und der Sichtbarkeit vor uns.


Heute übergibt die Dunkelheit das Zepter an das Licht. Fortan ist das Licht der Herrscher über das Leben auf der Erde. Viele sehnen sich nach dem Licht und dem Lichtvollen, doch ebenso viele haben Angst vor dem Licht.


Licht erhellt die Dunkelheit.


Spielen wir Verstecken so verbirgt uns die Dunkelheit wunderbar und wir werden nicht leicht gefunden. Dreht der Sucher jedoch das Licht auf, werden wir sichtbar und gefunden.


Dunkelheit schenkt uns Sicherheit, Geborgenheit und Halt. Sie hüllt uns ein. Sie tut dies mit uns, mit der Natur aber auch mit all unseren inneren Anteilen, die in der Dunkelheit unseres Seins ein gutes auskommen haben. Wird es jedoch plötzlich hell, regt sich nicht nur die Natur und erwacht, sondern auch wir Menschen werden aktiver. Dieses Spektakel können wir Jahr für Jahr beobachten.


Doch was passiert mit unseren inneren Anteilen?

Auch sie werden sichtbarer, lebendiger und aktiver.


Sehnsüchte regen sich in einem. Wir planen den nächsten Urlaub, säubern unser Haus und den Garten. Pflanzen neues und erneuern altes. Was wir im außen vorbildhaft tun, geschieht auch in unserem Inneren. Wir richten uns neu aus. Was im Winter integriert und in den Tiefen der Dunkelheit transformiert wurde, steht nun, wie ein neues Pflänzchen, an der Pforte zum Licht. Die alten Hüllen, die Samenhüllen, wollen nun aussortiert, ausgeschieden und zurückgelassen werden. Alte Glaubenssätze, alte Erfahrungen, Sichtweisen und Gedanken, seien diese alle noch so klein und subtil, sie bilden die Hüllen der Neuen Glaubenssätze, Erfahrungen und Sichtweisen. Diese Hüllen fallen ab noch bevor wir den Schritt über die Pforte setzen. Es ist ein Abschied, dem wir nicht sehr lange nachtrauern werden. Der Abschied ist die Konsequenz eines ganzen Prozesses, der sich still und leise während der Winterruhe vollzogen hat und uns nun an diese Schwelle geführt hat. Halten wir kurz inne und betrachten wir den Moment, die abfallenden Hüllen, das Zepter, das seinen Besitzer wechselt. Der Schritt über die Schwelle ist ein besonderer, denn auf der anderen Seite der Schwelle erwartet uns die Welt.


Es ist die Zeit der Sichtbarkeit gekommen. Das Licht erhellt alles und damit wirft alles seinen Schatten lang und breit auf die Erde. Gerne suchen wir die Schatten auf, wenn die Sonne gnadenlos am Himmel steht und ihre Hitze auf die Erde verbreitet. Der Schatten verfolgt uns bis in den Herbst. Viel zu oft ist er uns ein Ärgernis, entweder ist er zu dicht, zu klein, zu groß oder zu licht.


Wie ein Baum oder ein Strauch seinen Schatten nicht ablegen kann, können wir uns von unserem Schatten ebenso nicht loslösen und so werden wir sichtbarer als es uns lieb ist. Unsere Muster und Gedanken, die sich in Reaktionen und Handlungen zeigen. Unsere Sicht auf die Welt, unsere Einstellungen und unsere Lebensführung wird durch das Licht ebenso erhellt und wir tragen sie wie offene Bücher vor uns her. Dem einen Menschen gefällt was wir tun, sind und vertreten, andere ärgern sich über den Schatten, den wir verbreiten.  


Unter der Regentschaft des Lichtes dürfen wir nun lernen standhaft alle Herausforderungen zu meistern. Es wird sich zeigen, ob die Wurzeln, die wir im Winter ausgebildet haben uns tragen, es wird sich auch zeigen, ob die nun keimenden Samenkörner im Herbst tief genug in die Erde unserer inneren Landschaft gefallen sind. Wir werden sehen, ob sie den aufkommenden Stürmen, dem Hagel, der Dürre und der Hitze der kommenden Zeit standhalten. Vielleicht können wir beobachten, wie sie durch diese Herausforderungen stärker und kräftiger werden, robuster und widerstandsfähiger. Und vielleicht dürfen wir das ein oder andere Pflänzchen dem Kompost anvertrauen, der aus ihm wunderbaren Dünger für all die anderen bereitet.


Die Frühlings-Tag und Nachtgleiche ist somit ein Wendepunkt, an dem innere Prozesse im außen sichtbar werden und im außen vollendet, perfektioniert und verfeinert werden. Es ist eine Zeit, in der tief Verborgenes an die Oberfläche kommt und sichtbar wird. Damit wir zur Zeit der Herbst-Tag und Nachtgleiche dessen Früchte nach innen nehmen können um sie in der Tiefe unserer inneren Landschaft zu wandeln, zu transformiert und zu bebrütet, wie ein Ei aus dem am Ende des Winters ein lebendiges Küken entschlüpft.







Frühlings-Tag und Nachtgleiche







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